Experten Blog – Mirjam Wolf im Gespräch über Mindsetting in Krisenzeiten

Mirjam Wolf, Sportpsychologische Koordinationsstelle des Landes Tirol, im Gespräch über die Herausforderungen des Frühling 2020, wie man trotz Krisen den Fokus hält und das Thema Wettbewerbsvorteile.

Wie hast du den Lockdown erlebt?
Ich konnte mich gut darauf einlassen und diese „entschleunigte“ Zeit auch gut für mich nutzen.

Haben viele Leistungssportler/innen Rat bei dir gesucht?
Ja, im Gespräch sein war schon einigen sehr wichtig. Die Reaktionen der Athleten waren sehr unterschiedlich. Von Gelassenheit bis Sinnkrise war alles dabei. Einige haben die Zeit genutzt um zu regenerieren und gezielt an Defiziten gearbeitet. Viele haben sich gefragt ob man das jetzt darf, ob es einem gut gehen darf, wo doch Trainings und Wettkämpfe abgesagt wurden. Vielen hat auch die Struktur durch die Schließung der Sportstätten bzw. durch die Absagen der Termine gefehlt. Der plötzliche Wegfall des sozialen Gefüges u.a. der Trainingsgruppe war für viele auch ein Einschnitt. Es war wichtig darauf zu schauen, dass die gewohnten Abläufe während des Lockdowns durch eine klare Tagesstruktur eingehalten werden können – Lernzeiten, Training, Pausen, wann mache ich was? So wurde Woche für Woche neu strukturiert.

Das Land Tirol hat mit der Nachwuchssportförderung Tirol die Initiative „If you can’t go outside, go inside“ gestartet, kannst du darauf eingehen?
Ich war mit den Sportleren, mit denen ich schon gearbeitet hatte weiterhin in Kontakt, ein paar Neue sind dazugekommen. Mit Hilfe der Tools wie Skype oder Zoom-Meeting war es einfach in Kontakt zu sein, wenngleich eben virtuell. Es gab einige Stichtage, an denen die Athleten/innen mehr Betreuung brauchten, als zum Beispiel Wettkämpfe – Nationale und Internationale wie Olympia abgesagt und die Trainingsstätten geschlossen wurden. Diese verloren gegangenen Strukturen und Abläufe, veränderte Trainingsgewohnheiten, abgesagte bzw. verschobene Wettkämpfe, Sorgen um die private und sportliche Zukunft können zu persönlichen Krisen führen und da ist es wichtig aufzufangen und zur Seit zu stehen um die Zeit evtl. als Chance zu sehen, sich selbst weiterzuentwickeln. Im Zusammenhang mit der von dir erwähnten Initiative „If you can’t go outside, go inside“ konnten sich alle Tiroler Sportler, Trainer und Funktionäre an die sportpsychologische Koordinationsstelle des Landes Tirol wenden um in diesem Prozess unterstützt und begleitet zu werden.

Wie konntest du unterstützen?
Wir haben versucht den Fokus zu halten, auch in Quarantäne kann man Ziele anvisieren und handlungsorientierte Muster anwenden. Eine gute Zeit um die Entwicklung der mentalen Fähigkeiten zu forcieren: Du kannst jetzt nicht wie gewohnt trainieren, du kannst jetzt zu keinen Wettkämpfen fahren, aber was kannst du denn sonst noch tun? Ruhe und Geduld kultivieren. Stärkung der eigenen „Ichs“.

Kein Training, keine Wettkämpfen – wie wirkt das auf die Psyche eines jungen Menschen?
Die Abläufe bei Sinnkrisen ähneln vielleicht denen bei Verletzungen. Plötzlich wird man gestoppt, nichts geht mehr. Das kann Ärger, Wut, Verzweiflung, Ängste auslösen. Man stellt Dinge in Frage und muss einen neuen Fokus entwickeln sowie seine Zielsetzung überdenken. Bei Corona kamen ja da noch andere Dinge dazu. Viele hatten auch Angst ihre Familie oder Freunde könnten erkranken. Wie binde ich die Angst ein? Aber auch der Überfluss an Informationen – was macht der Medienkonsum mit meinen Gedanken? Wie schaffe ich es bei mir zu bleiben? Wie kommuniziere ich mit mir? Wie denke ich? Was kann ich davon abstellen, verändern, kontrollieren? Die Herausforderung des Unkontrollierbaren hatte Präsenz – was kann ich kontrollieren und was nicht? Das hat auch gezeigt welche Motivation mich primär zum Sportler macht. Bin ich „nur“ wettkampffokussiert oder auch an meiner persönlichen Weiterentwicklung interessiert? Wo finde ich die größte Motivation?

Werden Leistungssportler im Rahmen ihrer Ausbildung auch auf solche Situationen vorbereitet?
Bezogen auf das was in den letzten Monaten passiert ist wohl nicht, aber ein gutes mentales Gerüst, welches wir versuchen den Athleten mitzugeben, kann helfen mit solchen Situationen besser umgehen. Viele haben bereits den Einsatz von Visualisierungstechniken für den Wettkampf gelernt, Entspannungstechniken erprobt, Selbstgesprächsregulation betrieben … und eine lösungsorientierte Ausrichtung eingenommen. Wie kann man die Situation für sich nutzen? Was war alles gut? Was bedarf Veränderung auf allen Ebenen? Damit bekommt man eine neue Kontrollierbarkeit in die Situation hinein. Ich war überrascht wie viele es gut annehmen konnten. Ein Thema war natürlich auch Schule und Motivation.

Vor welchen Herausforderungen stehen Leistungssportler/Innen jetzt, nachdem das Leben wieder an Fahrt gewinnt?
In vielen Sportarten konnte erst spät mit dem Training fortgesetzt werden und auch wie es mit den Wettkämpfen weitergeht ist teilweise noch unklar. Die unterschiedlichen Regelungen, sei es länder-, aber auch sportartspezifisch stellt die Athleten und Trainer vor neuen große Herausforderungen. Wie die Sportler, aber auch Trainer damit umgehen werden, wird die nächste spannende Frage sein.

Vielen Dank für das Gespräch!
(jak)