Experten Blog »Die Brückenbauer« – Interview mit Voltigiertrainerin Martina Seyrling

Die Brückenbauer

Warum Randsportarten professionelle Begleitung brauchen? Ein Gespräch mit Martina Seyrling (RC Seefeld) und Esmeralda Mildner (NLST) über einen Sport der hohe soziale Kompetenzen fordert, anfängliche Skepsis und die Stärke von Trainern die sich vernetzen.

NLST: Das Voltigieren ist in der öffentlichen Wahrnehmung in Tirol nicht sehr präsent, obwohl die Athleten Großes leisten. Woran liegt das?
Martina Seyrling: Das Voltigieren ist ein teurer Sport. So ist es auch nicht einfach Nachwuchs zu gewinnen, obwohl es in Tirol einige Vereine im Breitensport gibt. Als Randsportart können wir uns keine bezahlten Trainer leisten, die mit den Athleten die Zeit nutzen, die sie von der Sportschule zur Verfügung gestellt bekommen.
Das ist ja das Tolle am NLST. Mit Essi haben wir glücklicherweise eine Trainerin gewonnen, die auch Verbindungen zum Pferdesport hat.

Warum ist diese Sportart sehr teuer?
Martina: Wir haben zehn Pferde und jedes dieser Pferde kostet uns in seiner Erhaltung monatlich 700 €. Diese Kosten sind kaum bekannt. Mit diesem Wissen kann man sich leicht ausrechnen, warum für den Trainer ohne Sponsoring kein Geld übrig bleibt. Alle Mittel fließen direkt in das Pferd, das ein Leben nach dem Leistungsport und auch davor hat. Deswegen freut brauchen wir als Verein den Breitensport und freuen uns über Jeden und Jede, die sich für diese Sportart interessiert.
Martina hat schon erwähnt, dass Du einen besonderen Zugang zum Reitsport hast. Welchen?
Esmeralda Mildner: Das Pferd sehe ich als Partner und damit ein bisschen anders. So weiß ich, dass man nicht einfach
eineinhalb Stunden durchvoltigieren kann, weil das kein Pferd schafft. Es muss alle Athleten eines Teams durch das gesamte Training oder den Wettkampf tragen. Als Trainerin muss es mir gelingen, die Athleten so weit zu motivieren,
dass sie auch trainieren wenn sie nicht am Rücken des Pferdes arbeiten.

Der Förderverein Nachwuchssport Tirol unterstützt seit Herbst die Voltigierer im Training. Erklärst du uns kurz die Hintergründe?
Martina: Es hat sich so langsam aufgebaut, nachdem wir im Februar vergangenen Jahres feststellten, dass wir mit Gegi nun schon vier Athleten am SportBORG haben. Das hat es noch nie zuvor gegeben. Für das Schuljahr 2018/2019
wurde für zwei weitere Voltigierer aus meinem Verein der Traum in das SportBORG zu wechseln wahr und damit ist seit September das gesamte Team am SportBORG. In diesem Moment habe ich erkannt, dass wir uns besser mit bestehenden
Strukturen vernetzen müssen. Neben meinem Beruf als Logopädin kann ich das als Trainerin nicht mehr alleine abdecken.
Esmeralda: Die Tiroler Voltigierer bringen sehr gute Ergebnisse. Wir haben gesehen wie wichtig es ist diesen Verein, der ausschließlich mit ehrenamtlichen Trainern arbeitet, zu unterstützen. Statt die Schüler zum Frühtraining ins Fitnessstudio zu schicken, können sie dieses nun in den Krafträumen des Landesportzentrums begehen. Ein weiterer Vorteil ist nun die leichtere Kommunikation. Wenn wir im Krafttraining Auffälligkeiten feststellen und die Voltigiertrainerin ähnliches entdeckt, können wir z.B. sofort den Physiotherapeuten oder die Sportpsychologin einbinden. Wenn z.B. etwas in der Ausrichtung der Beinachse nicht passt, ist vermutlich auch die Landung vom Pferd am Boden
nicht so sauber. Mit diesem Wissen kann ich zielgerichtet Basisübungen vermitteln, die dem Athleten gut tun.

Wie sieht das Angebot konkret aus?
Esmeralda: Neben dem sportspezifischen Training bieten wir im Frühtraining ein Basistraining im athletischen Bereich an. Im Training am Nachmittag können wir auf Sportler individuell eingehen – auf sein Leistungsniveau, auf seine Defizite und seinen Kraftbereich. Ein Sammelangebot um die Sportler bestmöglich zu unterstützen. Wir als NLST sehen uns als Bindeglied zwischen Schule und Sport aber auch im Sportbereich als diejenigen die den Athleten alles an Unterstützung geben, um ihnen den Weg nach vorne möglich zu machen.
Martina: Essi hat unseren Turnier- und Jahresplan bekommen und einen Trainingsplan entwickelt und in Blöcken die nächsten Schritte festgelegt, um die Athleten bis zum ersten Turnier gut vorzubereiten.

Seit Herbst betreut ihr auch eine jüngere Athletin,die erst mit Herbst in die Sportschule wechselt. Eine Ausnahme?
Esmeralda: Ja, das ist eine Premiere. Wir fördern auch eine Athletin die derzeit noch die Hauptschule in Seefeld besucht indem wir sie am Nachmittag in das Individualtraining miteinbeziehen. Sie möchte im Herbst in das Sport-BORG wechseln also geben wir ihr schon jetzt die Möglichkeit diese Chance des Individualtrainings zu nutzen. Je früher man beginnt eine gute Basis zu legen, desto weniger Defizite müssen später ausgeglichen werden.

Welche Veränderungen siehst du durch diese neue Trainingsstruktur an deinen Athleten?
Martina: Sie erleben jetzt mit Spezialisten gezieltes Individual- und Athletiktraining und was
vor allem für die Verletzungsprofilaxe wichtig ist: die Grundbausteine werden jetzt gefestigt. So bekommen sie ein stabiles Fundament auf dem sie aufbauen. Die Athleten haben jetzt auch einen anderen Zug weil sie wissen, die Trainer sind vernetzt und wissen über alles Bescheid. Außerdem werden wir jetzt sportpsychologisch begleitet, das in diesem Alter bereits wichtig ist.
Esmeralda: Die Athleten waren zu Beginn sehr skeptisch, weil sie befürchtetet haben, Frühtraining
und Individualtraining könnte ihnen zu viel werden. Seitdem sie sehen dass wir miteinander kommunizieren und z.B. nach einem Wettkampf eher im regenerativen Bereich trainieren, ist die Atmosphäre entspannter. Sie sind jetzt
viel offener und kommen auf mich zu. Und sie erleben auch, dass das Training im Kraftraum unmittelbar am Pferd umgesetzt werden kann. Das Krafttraining ist jetzt zielgerichteter.

Und für dich als Trainerin bedeutet das?
Martina: Seitdem Essi mit ihnen an der Basis arbeitet, kann ich mich auf andere Dinge konzentrieren.
Früher musste ich das auch noch im Spezialtraining einbauen. Erleichternd ist auch dass wir vernetzt sind und uns mitteilen wer nicht beim Training war und auch das Warum hinterfragen können.

Ein sehr unterschiedliches Team, das euch auch fordert?
Esmeralda: Es ist ein sehr vielfältiges Team, vom Einsteiger bis hin zum Routinier. Im sportlichen Bereich war es zunächst wichtig herauszufinden was jeder Einzelne zum Weiterwachsen braucht. Wo müssen wir noch mehr an der Basis arbeiten, wo sind größere Schwachstellen und wo kann man mehr in die Feinarbeit gehen. Den Georg musste ich zum Beispiel anfangs zurückhalten, weil er gerne in die Kraftkammer ging um immer mehr Gewicht aufzulegen. Nachdem er selber erkannte, dass er neben der Kraft auch noch andere Fähigkeiten zum Voltigieren braucht, konnte er seinen Fokus erweitern. Es ist wie ein Puzzle, das aus vielen Teilen besteht und wir als Trainer dürfen dabei helfen diese Teile zusammenzuführen. Spannend ist auch das Arbeiten mit einem mischten Team, derzeit im Alter zwischen 11 und 18 Jahren. In anderen Sportarten wird schon sehr früh zwischen den Geschlechtern getrennt. Unsere Athleten mussten erst in ihren Rollen finden und das wirft Fragen auf wie: Wer sind die Vorbilder? Wie benehme ich mich?

Leistungssportler reifen schon früher in ihren organisatorischen Fähigkeiten. Was sagt ihr dazu?
Esmeralda: Es ist sicher so dass im Leistungssport die Schüler eigenständiger sind als andere Gleichaltrige, weil sie lernen Training, Schule und Freizeit selber zu strukturieren. Wenn unsere Athleten eine Physiotherapie brauchen oder sich verletzten, müssen sie sich auch dieser Termine selber organisieren.
Martina: Natürlich sind auch die Eltern mit im Boot. Deswegen laden wir schon am Anfang des Schuljahres zu einem Elterninformationsabend und stellen unser Konzept und seine Möglichkeiten vor. Es sind durchwegs Eltern, die sehr sportlich sind aber keine Leistungssportler waren und voll und ganz hinter ihren Kindern stehen.

Wir haben zuvor über das Fundament gesprochen. Welche Möglichkeiten haben Voltigierer nach dem Profisport?
Esmeralda: Voltigierer haben eine gute Grundvoraussetzung für alle anderen Sportarten. Ich selber komme aus dem Skisport und sehe welche Vorteile Kinder haben, die früh Turnen trainierten. Du lernst deinen Körper wirklich kennen – Körperspannung, Körperhaltung, .. Gerade beim Voltigieren brauchst du diese turnerischen Elemente. Auch die soziale Kompetenz wächst, im Team und im Umgang mit dem Pferd, das dich sieben Tage die Woche braucht. Das Training ist nicht fertig wenn es fertig ist, denn ich muss mich davor und auch danach noch um meinen Partner kümmern.

Zur Person: Martina Seyrling, Trainerin beim RC Seefeld, arbeitet sehr viel mit Kindern. Die ausgebildete Logopädin macht sich derzeit auch als Reittherapeutin selbständig.